Sie kam am 4. Dezember 2019 nach Mumbai um für Sanjay Leela Bhansalis GANGUBAI KATHIAWADI zu drehen, der inzwischen auch auf Netflix zu sehen ist. Zwei Jahre später sprach Indira Tiwari mit der ISHQ über ihre ersten Filme, die wegen der Pandemie zunächst ohne sie durch die Welt reisten. Der Eröffnungsfilm der indischen Filmtage, NAZARBAND, wurde nämlich auf mehreren internationalen Filmfestivals gezeigt, nachdem er seine Premiere in Busan feierte. Die Roman-Verfilmung SERIOUS MEN mit ihr fand derweil ein globales Publikum über den Streaming-Dienst Netflix und wurde auch sehr gut besprochen. Doch wo kommt die Schauspielerin her, die wir nun in NAZARBAND, der Adaption einer Kurzgeschichte von der bengalischen Autorin Ashapurna Devi im Zuge des Litfilms-Festival bewundern konnten? Wie schafft man es beim Film in Indien, wenn man gar keine Kontakte vorzuweisen hat?
Waren Sie sich immer sicher, dass Sie die Rollen kriegen würden, die Sie wollten, da sie von der National School of Drama kommen? (Dorthin gingen auch namhafte indische Schauspieler*innen wie Irrfan Khan, Neena Gupta, Naseeruddin Shah, Seema Biswas und viele weitere)
Meine Erfahrung ist da eine andere, aber generell ist es so, dass die Leute von einem Perfektion erwarten, wenn man von so einer renommierten Schule kommt. Man kann sich daher keine Fehler erlauben. Die Leute denken, wenn man von NSD kommt, braucht man nur einen Take, eine Aufnahme. Man kann aber einen ganz eigenen Prozess haben.
Wenn man zu einem Vorsprechen geht, dann hat man also überhaupt keine Vorteile gegenüber anderen, die von einem Institut kommen oder einfach ihr Glück versuchen. Bei einem Vorsprechen sind also alle gleich. Wenn man aber die Rolle bekommt, dann hilft die Ausbildung und Talent natürlich, diese gut auszufüllen. Vielleicht kriegt man die Einladung zum Vorsprechen, weil man auf so eine Schule gegangen ist oder einem angesehenen Jahrgang angehört, aber danach ist die Auswahl ein neutraler Prozess. Wenn man Talent hat, dann kann man es also auch ohne so eine Ausbildung schaffen und niemand fragt dich, wo du dein Handwerk gelernt hast.
Als ich erfuhr, wie viele erfolgreiche Schauspieler gar keinen Abschluss haben, dachte ich aber auch, dass das gar nicht so leicht sein kann, wenn man sich einmal abseits der Klischee-Rollen bewegen muss. Mit meiner Ausbildung kann ich zum Beispiel wirklich sehr lange in dieser Branche tätig sein. Ich habe einen Prozess durch den ich mich auf verschiedene Rollen einstellen kann. Ich denke auf lange Sicht, wird mir das helfen, immer Arbeit zu finden.
Bei Ihrem Film NAZARBAND gab es aber gar kein Vorsprechen, sondern nur einen Workshop. Können Sie uns verraten, wie das ablief und was Ihnen lieber war?
Als ich gerade dabei war einen NSD-Kurs abzuschließen, erhielt ich einen Anruf von dem Regisseur des Films, Suman Mukhopadhyay Sir. Er erzählte mir dann von einer Kurzgeschichte, aus der er einen Film machen wollte und er erinnerte sich dabei an mein Gesicht. Er bot mir also die Rolle an, weil er den Film mit mir machen wollte. Ich kannte das nicht, dass man ohne Vorsprechen ausgewählt wird. Bei diesen Workshops, erzählte er uns dann, was er sich vorgestellt hatte und gab uns Anweisungen, was wir machen sollten.
Bei GANGUBAI KATHIAWADI musste ich zu einem Vorsprechen. Ich bekam diese Zeilen, die ich lesen und auf meine Art interpretieren sollte. Es war nett und unkompliziert. Ich bin froh, dass ich beides schon einmal mitgemacht habe. Als ich NAZARBAND einfach so bekam, hatte ich nur irgendwie im Hinterkopf dieses Gefühl, dass ich aber doch meine Hausaufgaben machen sollte. Also habe ich aus einem Impuls heraus ein Foto-Shooting für die Rolle gemacht und den Regisseur um eine Beschreibung der Figur gebeten. Ich wollte einfach eine Vorstellung haben, was mich an dem Set erwartet.
Sie empfinden diese Vorsprechen nicht als stressig?
Nein, mittlerweile ist es aber auch so, dass die Regisseure meine Arbeit kennen und daher oft gar nicht wollen, dass ich vorspreche. Aber ich mache es wirklich sehr gerne, weil ich meinen eigenen Prozess dafür habe. Ich mache mir einen Tee, schlüpfe in ein Kostüm und stelle sicher, dass ich mich darin wohl fühle. Wenn ich ausgewählt werde, frage ich auch immer meine Regisseure, was ihnen gefallen hat und daraus entwickle ich dann die Figur.
Ihre Filme NAZARBAND, SERIOUS MEN und GANGUBAI KATHIAWADI sind alle Adaptionen, wobei der letzte natürlich eine reale Vorlage hat und auf einem Sachbuch basiert. Ist das Zufall oder gefällt es Ihnen, wenn ein Film eine literarische Vorlage hat?
Das ist Zufall. Ich habe bislang vier Filme insgesamt gemacht und drei davon basieren auf Büchern, bzw. NAZARBAND basiert auf einer Kurzgeschichte von Ashapurna Devi. SERIOUS MEN (Ernste Männer) basiert auf dem gleichnamigen Roman von Manu Joseph und die Geschichte von GANGUBAI KATHIAWADI stammt auch aus einem Buch, „Mafia Queens of Mumbai“ von Hussain Zaidi.
Es gibt viel Material zu verfilmen, aber das Drehbuch ist immer die Bibel. Um einen Stoff für das Kino zu adaptieren und ihn gut zu präsentieren, muss man so viel ändern! Es hängt auch immer davon ab, für welches Publikum man einen Film macht und ob es zum Beispiel für OTT – also Streaming – ist. Für SERIOUS MEN habe ich zum Beispiel den Roman gelesen und der ist ganz anders. Es sind zwar die selben Charaktere, aber man hat nur zwei Stunden, um ihre Geschichte zu erzählen, die dabei auch noch unterhaltsam sein soll. Das verändert Alles.
Die Kurzgeschichte von Ashapurna Devi habe ich dagegen gar nicht gelesen, weil sie auf Bengalisch geschrieben ist und mein Regisseur sagte mir, ich müsse sie nicht lesen. Sie hatten die Geschichte schon adaptiert und sie hat so viele Ebenen. Jetzt ist sie ganz anders. Es ist gar nicht einfach, die Essenz einer Literaturvorlage herüberzubringen und es ist noch schwieriger, mit einem Kinofilm alle zufrieden zu stellen, aber das Publikum heutzutage ist anspruchsvoll und offen für so etwas.
Das ist nur ein Auszug aus einem ausführlichen Interview mit Indira Tiwari in der ISHQ 173.