Adil Hussain spielte im diesjährigen norwegischen Oscar-Beitrag „Was werden die Leute sagen“ von Iram Haq einen Mann, der seine eigene Tochter in ihr Heimatland Pakistan entführt, weil sie anscheinend zu viele Freiheiten genossen hat. Auch in „Schiffbruch mit Tiger (Life of Pi)“ war der indische Theater-Schauspieler und ehemalige Komiker als Vater der Hauptfigur zu sehen. Im Eröffnungsfilm der Indischen Filmtage, HOTEL SALVATION, spielt er aber einmal einen Sohn und dieser muss seinen Vater in die heilige Stadt Benares (auch Varanasi genannt) begleiten, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, dass er bald sterben wird. Im Interview mit dem deutschen Bollywood-Magazin ISHQ sprach er 2017 über den Festival-Hit, der in Venedig Premiere feierte.
Benares ist immer ein interessanter, spiritueller Ort als Hintergrund für eine Geschichte, da viele Hindus zum sterben dorthin reisen. Aber westliche Touristen haben immer bestimmte Bilder im Kopf, wenn sie an diesen Ort denken. Bietet der Film vielleicht eine neue Perspektive und was bedeutet der Ort für Sie persönlich?
Benares läuft immer Gefahr, ein sehr exotischer Ort zu werden aus westlicher Sicht. Zur gleichen Zeit ist es aber in gewisser Weise auch ein exotischer Ort für Inder, die noch nie dort waren. Ich erinnere mich daran, wie ich zum ersten Mal in Benares war. Ich war total überwältigt von dem Umfeld, von den reinen Menschenmassen und den Aktivitäten, die im alten Benares stattfanden. Man glaubt, dass es sich dabei um eine der ältesten Städte der Welt handelt. Die Aktivitäten drehen sich dabei nicht nur um den Tod. Verschiedene Gottheiten werden in der Stadt angebetet, insbesondere Shiva. Er ist der Gott der Zerstörung sagt man, aber in gewisser Weise will er sich nicht manifestieren. Es ist also nicht nur für Leute aus dem Westen eine exotische Stadt, glaube ich persönlich. Was einem zuallererst ins Auge fällt, ist der Tod oder die Leichen, die am Flussufer verbrannt werden. Ich war erstaunt, wie viele Menschen das dort am Ganges machen und von der Akzeptanz – aber nicht der Teilnahmslosigkeit – des Todes. Es ist wie bei einer Geburt: Wenn jemand, dem wir sehr nahe stehen, ein Kind bekommt, dann sind wir überglücklich, aber jemandem, den man kaum kennt, sagt man nur: „Ach, okay! Herzlichen Glückwunsch!“ Und so sieht man in Benares den Tod vor den eigenen Augen geschehen. Dann wird einem bewusst, dass es sich um den unvermeidlichsten Moment des Lebens handelt. Für Fremde ist das alles wahrscheinlich sehr exotisch, aber egal wie viele Filme dort angesiedelt sind, es wird immer eine neue Perspektive auf diese Stadt geben. Hunderte Filme spielen in New York oder Los Angeles. Man versucht dann die verschiedenen Aspekte der selben Stadt zu beleuchten. Der Film ist aber nicht an die Ausländer gerichtet. Es geht nicht darum zu zeigen, wie exotisch Benares ist, aber es gibt einfach phänomenale Ereignisse, die dort geschehen. Ich wusste seit meiner Kindheit zwar, dass Menschen zum Sterben nach Benares gehen. (lacht) Aber mir war nicht klar, dass es organisierte Einrichtungen dafür gibt, wo man einchecken kann und wo bestimmte Regeln gelten, die man befolgen muss, um dort zu bleiben. Es gibt etwas in dieser desorganisierten Stadt, was mich trotz des Chaos’ und des Drecks immer aufheitert. Ich kann meinen Finger nicht darauf legen. Vielleicht sind es die Schwingungen einer höheren Ordnung in dieser Stadt, die mich ruhiger machen. Es hilft einem eine innere, tiefere Ruhe zu finden.
Glauben Sie, dass man in Indien vielleicht lockerer mit dem Thema Tod umgeht?
Wir sind vielleicht lockerer, aber wir sind bei weitem nicht die einzige Nation, die da entspannter herangeht. Ein Todesfall hinterlässt natürlich immer eine tiefe Narbe bei den Leuten. Aber da wir grundsätzlich an die Idee von Reinkarnation glauben, ob wir das intellektuell akzeptieren oder nicht, irgendwo ganz tief in uns drin wurde diese Vorstellung an uns weitergegeben, dass der Tod nicht das Ende der Geschichte ist, sondern sozusagen ein Fenster in eine andere Dimension. Ich glaube, das ist ein genereller Glaube, der innerhalb der indischen Bevölkerung existiert, ob man nun Hindu ist oder Muslim. Ich bin in einer muslimischen Familie aufgewachsen und trotzdem glaube ich daran. Wenn man grundsätzlich an so etwas glaubt, geht man vielleicht etwas lockerer damit um. (lacht) Aber es ist dennoch für niemanden auf der ganzen Welt eine Sache, mit der man leicht umgehen kann – da sind wir als Inder nicht anders.
Der Film ist außerdem von einem sehr jungen Regisseur. Waren Sie überrascht, dass er sich schon so viele Gedanken darüber gemacht hatte?
Ja, total überrascht! (lacht) Der Produzent des Films und ein Freund von mir, der zufälligerweise auch der Vater des Regisseur ist, schickte mir eine Nachricht, in der er mir den Film und sein Thema präsentierte. Er sagte, der Filmemacher gewann einen Preis für den besten Kurzfilm in Venedig und fragte mich, ob ich interessiert sei. Ich sagte dann aus zwei Gründen zu: Erstens wusste er, wie man Filme macht und zweitens interessiere ich mich schon lange für den Tod. Als ich dann erfuhr, wie alt der Regisseur ist, war ich sogar noch neugieriger. Als er das Drehbuch schrieb war er 23 Jahre alt. Ich habe ihn während der Dreharbeiten immer wieder gefragt, wie ein 23jähriger darüber schreiben kann. „Wie alt bist du?!“ (lacht) Aber es ist wirklich sehr interessant, denn der Regisseur meinte, es ginge im Film mehr um das Leben. Der Drama-Teil des Films handelt vom Sterben. Aber ich habe ihn nun schon 15 oder 20 Mal gesehen und es stimmt, es geht darin wirklich um das Leben. Der Regisseur benutzt diese Situation mit einem bevorstehenden Tod wirklich um etwas über das Leben zu sagen. Es geht darum, wie eine Figur das Ende willkommen heißt und wie sein Sohn – meine Figur – nicht bereit ist, das zu akzeptieren. Vermutlich glaubt er auch nicht an die Wiedergeburt, zumindest nicht bewusst.
Sie waren schon vor dem Film vom Tod fasziniert, aber sind Sie durch diese Rolle nochmal in sich gegangen?
„Wer bin ich?“ und „Was mache ich hier?“ sind die fundamentalen Fragen, die ein Schauspieler für sich beantworten muss, um eine Situation wahrheitsgetreu zu spielen. Diese Methode kommt von dem Vater der modernen Schauspielkunst, Konstantin Stanislavski. Er wollte immer, dass von Schauspielern die fünf W-Fragen beantwortet werden: Wer, wo, wann, was und warum. Als junger Schauspieler in den 90er Jahren wollte ich diese Fragen auch auf mein Leben beziehen. Wer bin ich? Was mache ich hier auf dem Planeten Erde? Wo bin ich? Warum bin ich hier? Wohin gehe ich und wann gehe ich? Nur sehr wenige moderne Bücher konnten diese Fragen beantworten, also habe ich nach Antworten in dem indischen, mystischen Glauben gesucht. Ich habe danach auch in anderen Kulturen gesucht, im Shamanismus und dem buddhistischen Glaubens-System und die Schriften von einem berühmten Mystiker Indiens, Sri Aurobindo, gelesen.
2003 starb dann mein Vater. Ich drehte damals für eine Fernsehserie an der pakistanischen Grenze. Es war um 20 Uhr abends, mitten in den Dreharbeiten. Ich saß auf einem Stuhl und wartete auf meine Szene, als mein ältester Bruder anrief und sagte, dass unser Vater gestorben ist. Ich sagte nur: „Oh, wann?“ „Um 14 Uhr.“ Dann kam der Regisseur, um mir zu sagen, dass ich an der Reihe sei. Also sagte ich meinem Bruder: „Es tut mir leid. Ich rede später mit dir. Ich bin jetzt gerade am Drehen.“ Ich habe also noch zwei Stunden gearbeitet. Dann war ich geschockt, dass ich nicht traurig war. Aber ich denke durch meine ganze Recherche zu diesem Thema habe ich wohl irgendwann angefangen zu glauben, dass es in Ordnung sei. Es ist unvermeidlich und wird jedem passieren, egal wer du bist, wo du bist und was immer du gerade machst. Das Problem ist nur: Du weißt nicht wann es kommt. Wegen dieser Unsicherheit war ich überzeugt, dass ich auf so etwas jeden Moment gefasst sein musste, ob es nun mich trifft oder andere. Ich war also emotional darauf vorbereitet und mein Vater hat 93 Jahre lang gelebt, also hatte ich deswegen auch keine Gewissensbisse, aber ich war überrascht von meiner Reaktion. Als ich dann nach acht Tagen nach Hause kam, war er schon beerdigt und ich schlug vor, dass wir feiern sollten. In den Büchern, die ich gelesen habe, weißt es nämlich, wenn wir über den Tod eines Menschen trauern, der ein langes und erfülltes Leben hatte, dass ihre Seele nicht geht. Wir sollten sie gehen lassen – und zwar glücklich. Das stimmt auch mit anderen Glaubensvorstellungen überein – zum Beispiel bei Indianern oder Buddhisten. Ich habe also daran geglaubt, dass ich nicht trauern sollte.
Als ich dann dieses Filmangebot bekam, dachte ich dann nur: „Klasse, jemand macht einen Film darüber! Warum nicht?“ (lacht)
Der Film soll außerdem auch witzig sein.
Ja. Die witzigen Situationen sind da, obwohl es so ein bedrückendes Thema aus emotionaler Sicht ist. Aber aus pragmatischer Sicht, wenn man in diesem Hotel nur 15 Tage bleiben darf, hat das eine komische Seite. Meine Frau im Film versucht dabei ganz praktische Probleme zu lösen und fragt, wie lange das Ganze wohl dauert und all so etwas.
Wie wohl jeder andere Journalist war ich auch überrascht herauszufinden, dass Sie einmal ein Stand-Up Comedian waren. Sie haben sehr jung damit angefangen. Können Sie mir vielleicht verraten, wie sich die Comedy-Szene in Indien über die Jahre verändert hat?
Ich schätze, es verändert sich gerade langsam. Ich sehe mir bestimmte Comedians an, beispielsweise Kunal Kamra. Es gibt da noch einen namens Vir Das. Ich bin so froh, dass die Leute in ihrer Comedy all diese Probleme ansprechen, wie Fanatismus, Nationalismus oder andere soziale Themen. Die Leute schauen sich das an und lachen über sich selbst und ihre unvernünftigen Einstellungen. Der Humor wandelt sich von einem eher Slapstick-lastigen hin zu einer Form von Comedy, die mehr an Satire erinnert. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Pointen intelligenter werden und manche von ihnen haben wirklich die Messlatte hoch angesetzt. Andere holen auf. In Slapstick-Comedy macht man sich immer über Leute lustig, über eine bestimmte Sprache, ein Geschlecht oder sexuelle Orientierung. Ich freue mich also, dass sich das ändert und die Show von Vir Das hat mir wirklich gut gefallen.
Machen Sie noch immer manchmal Stand-Up Comedy? Oder hätten Sie nach all den ernsteren Rollen auch mal Lust in einer Komödie mitzuspielen?
Ich mache nur noch Stand-Up vor meinem Sohn und meiner Ehefrau. Professionell mache ich das nicht mehr, denn das war nur ein Weg meine Karriere und mein künstlerisches Leben zu starten. Ich habe sechs Jahre lang meinen Lebensunterhalt als Stand-Up Comedian bestritten. Das hat mir wirklich Spaß gemacht und ich bin außerdem als Clown ausgebildet. Ich war lange als Clown in Europa unterwegs, insbesondere in Holland. Ich habe in Holland als Lehrer gearbeitet von 1997 bis 2001 und habe da etwas herumgekaspert.
Ich würde sehr gerne eine leichte Komödie drehen. Ich weiß nicht, warum sie mich in so etwas nicht besetzen. 1999 habe ich in einem Theaterstück mitgespielt, Othello, und das haben wir über zehn Jahre lang aufgeführt. Viele Leute, die mich in diesem Stück gesehen haben, sind heute für die Besetzung von Filmen verantwortlich und die kennen mich eben nur aus Othello. Die denken also: „Oh, der Typ ist ein ernsthafter Theaterschauspieler.“ Aber sie haben ja nie gesehen wie ich Komödien mache! In meinem Heimatstaat Assam machte ich Comedy als ich aufgewachsen bin und da wurde ich nie in einer ernsthaften Rolle besetzt, weil sie mich alle für einen Komiker gehalten haben. Jetzt würde ich gerne nochmal in einer Komödie mitspielen, aber ich hoffe, dass mich jemand auch so besetzt.
Ist es leichter mit jemandem zu arbeiten, der auch einen Theater-Hintergrund hat, wie Lalit Behl in HOTEL SALVATION?
Das Theater ist noch immer meine erste Liebe. Wenn ich dafür nur etwas besser bezahlt werden könnte, jetzt nicht so viel wie beim Film, aber ein wenig mehr, als ich jetzt bekomme, dann würde ich sofort zurück zum Theater gehen. Es ist immer etwas leichter mit jemandem zu arbeiten, der einen ähnlichen Hintergrund hat und den Wert von Proben kennt. Jemand, der die tiefgründigeren Aspekte einer Charakterisierung versteht und der erkennt, wenn eine Situation nicht überzeugend ist und wenn man sie dadurch selbst nicht überzeugend spielen kann. Das hilft natürlich, aber es ist von Schauspieler zu Schauspieler unterschiedlich. Es kann auch leichter sein, mit einem Film-Schauspieler zu arbeiten, je nachdem an welche Arbeitsmethode er glaubt.
Wir kommen heute sehr viel leichter an indische Independent-Filme heran durch Video-on-Demand-Plattformen wie Netflix, wo man beispielsweise THE VIOLIN PLAYER oder SUNRISE sehen kann. Merken Sie, dass diese Filme nun mehr Leute erreichen und hilft das etwa neue Filme zu finanzieren?
Ja, es ist heute leichter einen Independent-Film zu machen, es ist aber trotzdem definitiv nicht einfach. (lacht) Ich kriege jeden Monat so viele Drehbücher, für die Geldmittel gesammelt werden und manche von denen sind brillant. Es gibt ein Drehbuch, das das beste ist, was ich je gelesen habe und es ist noch immer nicht gedreht worden, obwohl es schon seit fünf Jahren existiert. Es liegt bei mir und ich brenne darauf, es zu machen, aber es konnte bisher nicht finanziert werden. Guillermo Arriaga, der Autor von Amores Perros, ist einer der besten Drehbuchautoren weltweit und sogar er meint, das sei das beste Drehbuch, das er in den letzten 10 Jahren gelesen habe.
Aber die Leute werden zumindest offener und hören sich verschiedene Ideen an, auch wenn sie dir nicht unbedingt Geld dafür geben. Durch Plattformen wie Netflix, Amazon Prime und Hotstar – das ist eine indische Plattform – ist es leichter, diese Filme zu sehen. Aber wir sind weit weg von den Möglichkeiten, die man in Europa oder Deutschland hat, wo solche Filme eher normal sind. Ich habe zuletzt einen Film gemacht, der mit Geldern aus Norwegen, Deutschland, Dänemark und Schweden finanziert wurde. Die Regisseurin des Films heißt Iram Haq. Ich bin gerade fertig mit den Dreharbeiten in Deutschland und der Film heißt: What will people say? (WAS WERDEN DIE LEUTE SAGEN?) Das wäre ein normaler Film in Norwegen, keine Arthouse Produktion. Bollywood-Filme sind erfolgreich, weil sie einer indischen Erzählweise folgen. Sie sind überlebensgroß, es gibt Musik und Tanz und all das, aber es ist wirklich schwer einen guten, bedeutsamen Film zu machen, der diese Richtlinien alle erfüllt. Ich persönlich würde HOTEL SALVATION als Mainstream-Film betrachten, denn er hat alles: Spaß, Tod, Drama, es ist alles da! Es ist für uns aber noch ein weiter Weg, bis das so angesehen wird, auch wegen der Vertriebswege.
Sie sind aber auch mit Amitabh Bachchan, Dharmendra, Hema Malini und diesen kommerziellen Bollywood-Filmen aufgewachsen. Schauen Sie sich so etwas denn heute überhaupt noch an?
Manche von ihnen sind wirklich gut gemacht! Wie zum Beispiel MUNNABHAI oder DANGAL… ENGLISH VINGLISH ist natürlich ein kommerzieller Film oder 3 IDIOTS. Manche von ihnen machen sehr gut auf bestimmte Probleme aufmerksam und erreichen ein sehr großes Publikum. So etwas hat einen starken sozialen Einfluss. Ich habe mal in einem Flugzeug ein Paar getroffen, das mit seiner Tochter nach Bombay flog, um sie auf eine bestimmte Schule zu schicken und ich sagte ihr: „Mein Gott, du hast wirklich Glück, solche Eltern zu haben!“ Aber der Vater sagte mir: „Nein, nein, wir haben 3 IDIOTS geschaut, also haben wir uns entschieden, dass unsere Tochter machen darf, was ihr gefällt.“ Es gibt natürlich immer einen Unterschied zwischen feinerer und populärer Kunst, aber solche Filme haben einen starken Einfluss. Ich sehe mir also manche wirklich gerne an und andere halte ich nicht aus.
SUNRISE ist eine Ihrer wenigen Hauptrollen in Filmen, darin haben Sie aber nur sehr wenig Text. War das eine spannende Herausforderung für Sie oder war das ganz entspannt, nicht so viel auswendig lernen zu müssen?
Für mich ist Film ein sehr visuelles Medium. Das Visuelle ist eines der wichtigsten Elemente in der Filmsprache und es spricht Bände. Wenn es forciert ist, möglichst wenig Dialoge zu haben, dann wird das keinen Sinn machen. Aber wenn die Situationen so sind, dass es nicht nötig ist zu sprechen und wenn das Drehbuch so clever geschrieben wurde, dass es nicht viele Dialoge braucht, dann ist das in Ordnung. Für mich war es eine Herausforderung und zur gleichen Zeit ist es auch ein Vorteil, denn man muss natürlich nicht viel lernen! Es ist nicht so, dass ich ein fauler Schauspieler wäre. Aber es ist so natürlich schwieriger zu vermitteln, was man fühlt, denn oft benutzen Schauspieler ihre Dialoge als eine Krücke. SUNRISE war auf so viele Arten ein herausfordernder Film, auch wegen der psychologischen Verfassung des Vaters. (Adil Hussain spielt im Film einen Polizisten, dessen Tochter vor Jahren entführt wurde und der nun Verbrechern auf der Spur ist, die ebenfalls Mädchen verschleppen.) Außerdem ist der Film sehr düster und intensiv. Ich habe bei der Erfahrung aber viel dazu gelernt. Es war sehr inspirierend zu sehen, wie gut das dann letztendlich funktioniert hat.
Sie waren auch in einigen internationalen Filmen. War es schwer, diese Rollen zu bekommen?
Nein, LIFE OF PI (SCHIFFBRUCH MIT TIGER) bekam ich sehr früh in meiner Film-Karriere. Ein Freund von mir hat mich einfach gebeten vorzusprechen. Ich ging also dorthin und nach einer Woche bekam ich einen Anruf von dem Casting-Chef in New York, der sagte, dass Ang Lee (der Regisseur des Films) mich gerne treffen möchte. Ich habe ihn also getroffen und nach einer Woche kam ich Bescheid, dass er mich in der Rolle haben wollte. Von meiner Seite war das also kein Kampf. Ich musste nur eine Szene für das Vorsprechen drehen, das war es. Ich hatte einfach Glück.
Sie spielen außerdem Radhika Aptes „Mystery Lover“ (Adil lacht) in PARCHED – ZEIT DER FRAUEN. Im Making of erzählten Sie, Ihre Frau habe angeboten zu den Dreharbeiten ans Set zu kommen. Hat sie den Film dann später auch gesehen?
Ja, klar! Es ist etwas interessantes passiert: Bevor der Film in Indien herauskam, wurde diese Szene im Netz weit verbreitet und ich bekam einen Anruf von einem Freund, der meinte: „Hey! Deine Sex-Szene ist viral!“ „Was?!“ Ich habe sie dann meiner Frau gezeigt und die meinte nur: „Oh mein Gott! Das hast du aber gut gemacht!“ Radhika, die außerdem eine gute Freundin von mir ist, hat auch angerufen und sie sprach sehr lange mit meiner Frau und sie lachten sich schlapp über die Szene. Meine Frau ist Theaterschauspielerin, sie ist an Filmen nicht sonderlich interessiert, vermutlich auch, da sie etwas schüchtern ist und Aufmerksamkeit nicht so gerne hat. Sie bot mir also an ans Set zu kommen, falls ich Hemmungen bei der Szene hätte. Ich meinte aber: „Das sollte ich wohl besser alleine hinkriegen. Mach dir keine Sorgen!“ (lacht) Sie hatte aber eine italienische Produktion mit mir gesehen, GANGOR, worin es auch eine intime Szene mit mir und meiner Filmpartnerin gab und sie fand diese Szene völlig unglaubwürdig. Sie meinte, ich sei überhaupt nicht überzeugend. (lacht) Und sie hatte Recht. Ich war sehr schüchtern und gehemmt. Als ich meiner Frau dann von der Rolle erzählte, die Leena Yadav mir angeboten hatte, sagte sie: „Sehr gut. Vermassele es nicht! Mach es richtig.“ Es war sehr nett. Sie ist mein Rückgrat.
Radhika Apte musste sich danach Einiges anhören. Hat überhaupt irgendwer Ihnen etwas zu dieser Szene gesagt?
Nein, das war auch mein Problem mit der ganzen Sache. Warum wird es überhaupt immer als Radhika Aptes Sex Szene bezeichnet? Wenn ein Mann so etwas dreht, ist das überhaupt kein Thema. Radhika und ich wurden von einem sehr bekannten Fernseh-Journalisten in Indien interviewt und dort habe ich auch die Frage gestellt: „Warum ist es nicht Adil Hussains Sex Szene?“ Ich finde das alles sehr seltsam. Indien war einmal ein sehr offenes Land, was Sexualität angeht. Wir haben verblüffende Skulpturen und Gemälde, wir schrieben das Kama Sutra vor 1000en von Jahren. Ich weiß natürlich, dass das mit unserer Geschichte zusammenhängt. Die muslimischen Herrscher haben uns verändert und dann kamen noch die Briten mit ihren viktorianischen Werten. Wir sind ein Land von 1,3 Millarden Menschen und wir sprechen nicht über Sex.