Interview mit dem Regisseur von Love & Shukla

Eine Familie auf engstem Raum in Love and Shukla.

Am 10. Februar um 11 Uhr wird LOVE AND SHUKLA bei den Indischen Filmtagen mit englischen Untertiteln zu sehen sein. Der Independent-Film mauserte sich nach der Weltpremiere in Busan zu einem kleinen internationalen Festival-Hit, der durch viele Städte reiste und dabei unter anderem den NETPAC Award beim Jogja-NETPAC Asian Film Festival gewann. Inzwischen ist er auch bei Netflix zu sehen – allerdings  nicht in Deutschland. Im Interview mit ISHQ-Redakteurin Carolin Wart aus dem letzten Jahr erzählt der Regisseur Siddartha Jatla, was die Streaming-Plattformen für einen kleinen Filmemacher wie ihn für eine Bedeutung haben und welche Kritik sich hinter seinem Debüt-Film verbirgt.

 

LOVE AND SHUKLA wurde auf etlichen Filmfestivals und Events gezeigt und hat sehr gute Kritiken bekommen. Wie fühlt es sich an, gerade wenn der erste Film so gut beim weltweiten Publikum ankommt? Haben Sie diesen Erfolg erwartet?
Wenn Sie mich so fragen: Nein, das habe ich nicht erwartet. Natürlich, wie jeder andere Filmemacher auch, wollte ich einen guten Film machen. Das Ausmaß an Zuspruch, den LOVE AND SHUKLA bekommen hat, habe ich aber so nicht erwartet. Insbesondere, da ich den Film aus meiner eigenen Tasche finanziert habe. LOVE AND SHUKLA habe ich mit einer Freundin (Amanda Mooney) coproduziert und alle meine Freunde spielten mit. Wir waren insgesamt 15 Leute, die den Film realisiert haben. Alles wurde in meinem Haus gemacht. Den Film habe ich in meinem Schlafzimmer bei ständiger Anwesenheit meiner Katze geschnitten. Sie saß die ganze Zeit neben mir und schaute mir aufmerksam zu. (lacht)
Nur der Sound entstand außerhalb meines Hauses. Zu sehen, wie dieser Film in dem eigenen Haus entsteht und kurze Zeit später plötzlich auf 35 Festivals zu sehen ist, die Leute dich ansprechen und deinen Film mögen, ist ein unbeschreibliches Gefühl und es ist eine wunderschöne Erfahrung. Gleichzeitig ist es aber auch ein Ansporn an meinem zweiten Film genauso hart zu arbeiten.

Wie Sie eben erwähnt haben, wurde der Film auf 35 Festivals weltweit gezeigt. Was verleiht dem Film denn seine spezielle Magie, dass sich so ein breites Publikum angesprochen fühlt?
Ich denke, am Ende des Tages ist es unabhängig davon aus welcher Kultur oder aus welchem Land wir kommen. Am Ende sind wir alle Menschen. Ich glaube, mein Film berührt gerade diese universelle Menschlichkeit und die Gefühle und Emotionen, die im Film vermittelt werden sind universell. LOVE AND SHUKLA wurde in Ländern wie China, Indonesien, Estland oder Deutschland gezeigt. Diese Länder sind kulturell so unterschiedlich, und trotzdem haben einige Zuschauer mich nach Ende des Filmes umarmt und mir gesagt, es hat sich für sie wie zuhause angefühlt. Mir hat einmal jemand gesagt, dass am Ende alle Menschen gut sind und etwas Gutes in sich haben. Entscheidend ist der Weg den sie einschlagen, der entweder gut oder böse ist. Daran glaube ich. Wir alle haben Nettigkeit und Gutmütigkeit in uns. Es sind grundsätzliche menschliche Emotionen und das Publikum fühlt sich dem verbunden.

LOVE AND SHUKLA ist Ihr erstes Werk als Regisseur, ursprünglich sind Sie ja Cinematographer und stehen hinter der Kamera. Was war der Moment an dem Sie dachten “Okay, ich muss jetzt meinen eigenen Film machen”?
Ich habe an dem Film and Television Institute in Pune Cinematography studiert, einer der bekanntesten Filmschulen in Indien. Ich habe mit TV Werbungen angefangen und später dann auch an Feature Filmen mitgewirkt. Es hat insgesamt circa 4 Jahre gedauert, bis ich irgendwann bemerkte, dass ich auch gerne Geschichten erzählen möchte. Ich habe so viele Mainstream und kommerzielle Filme gesehen, dass ich das Gefühl bekam, dass es höchste Zeit ist, selbst Regie zu führen. Schon seitdem ich ein Kind war hat es mir Spaß gemacht, Geschichten und Gedichte zu schreiben. Das könnte also auch ein Grund sein, warum ich mich dazu entschieden habe selbst Regie zu führen.

Zärtlichkeiten austauschen und gleichzeitig mit der ganzen Familie in einer Ein-Zimmer Wohnung zu leben scheint ja fast unmöglich. Wie häufig trifft man dennoch auf solche Beispiele im heutigen Indien? Wo verbringen Partner sonst Zeit zu zweit wenn nicht zu Hause?
Der Film behandelt das Thema Intimität und Privatsphäre eines frisch verheirateten Paares, die in einem Ein- Zimmer Chawl mit ihren Eltern zusammenleben. Studien zeigen, dass 45-50% aller Paare in Mumbai immer noch ein Problem damit haben, intim miteinander zu werden. Das ist eine sehr hohe Zahl im modernen Indien. In großen Metropolen wie Delhi, Mumbai oder Hyderabad fällt es einem auch auf, dass Paare den Park oder das Kino bevorzugen. Wenn man ins Kino geht, dann sieht man ganz oft in der letzten Reihe Paare, die leidenschaftlich miteinander herumknutschen, weil einfach kein Platz für Intimitäten im eigenen Zuhause ist. Es ist sehr weit verbreitet.

Shukla ist ein Mann, der dazu erzogen worden ist Frauen zu respektieren. Er ist sehr zuversichtlich, dass er ein guter Ehemann sein wird. Trotzdem ist er sehr unerfahren und Pornos als einzige Referenz sind vielleicht nicht die beste Option für Sexualerziehung. Dennoch kriegt er es hin die Zuschauer trotz unbeholfener Situationen davon zu überzeugen, dass er ein guter Kerl ist und wird dann auch nochmal durch ein Schmunzeln seiner Frau darin bestätigt. Ist dieser Charakter jemand, mit dem sich viele indische Männer identifizieren?
Ich selbst komme aus einer sehr orthodoxen Familie. Nicht viele indische Familien reden mit ihren Kindern über Sex. Wenn du in der Pubertät bist, ist da eine ständige Angst vor Sex und selbst in der Schule reden die Lehrer nicht darüber. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich in der Schule war und wir über das menschliche Reproduktionssystem gesprochen haben. Beim männlichen Teil sollten alle Mädchen den Raum verlassen und beim weiblichen Teil alle Jungs. Für eine lange Zeit dachte ich, dass Pornografie die einzige Möglichkeit ist, sexuelle Erfahrungen zu sammeln oder generell etwas darüber zu erfahren. Shuklas Erfahrungen basieren also auf meinen eigenen Erfahrungen. In Indien ist es aber immer noch ein Tabuthema. Letztendlich sind wir alle Menschen und wir haben alle das Bedürfnis zu lieben.

Mir sind speziell die starken Charaktere des Films aufgefallen und es machte Spaß ihnen zuzuschauen, wie sie ihre Interessen durchsetzen. Gab es da besondere Inspirationen?
Shuklas Charakter basiert zum Teil auf mir selbst. Menschen die mich gut kennen, merken dies auch. Die letzten 15 Minuten spiegeln mich und meine Persönlichkeit absolut wider. Regisseure bringen einen Teil von sich selbst immer in ihre Charaktere mit ein. Die Mutter ist in Teilen auch an meine eigene Mutter angelehnt. Es ging genauso verrückt in meinem Haus zu. Der Vater ist auch wie mein Vater. Die Schwester ist eine Beobachtung, die ich in vielen indischen Haushalten gemacht habe. Sie ist ein Charakter, der jede mögliche Seite in einem Machtspiel einnehmen kann. Ich glaube, jeder kann sich mit diesen Machtspielchen im Haushalt identifizieren.

Streaming Anbieter geben Filmemachern die Möglichkeit ihre Filme auf der ganzen Welt zu veröffentlichen. Jedoch werden die Filme nicht richtig promotet und es ist relativ schwer sie in den Portalen auch zu finden, währenddessen DVD Verleiher und Kinos sich bemühen Zuschauer anzuziehen. In welche Richtung, denken Sie, wird der Markt sich orientieren? Ist es eine gute Zeit
für das Independent-Kino oder wird Netflix überbewertet?
Indien ist ein Land Bollywoods. Unabhängige Regisseure haben es also sehr schwer überhaupt Fuß zu fassen. Ich denke es gibt kaum Plattformen oder Ansprechpartner. Netflix ist mehr oder weniger eine gute Chance für alle unabhängigen Filmemacher. Es gibt ihnen die Möglichkeit ihre Filme zu machen und sie einer Menge Menschen zu präsentieren. Von dieser Reichweite hätten wir nur träumen können. LOVE AND SHUKLA hätte mich im Kino ein Vermögen gekostet. Selbst wenn es nur eine begrenzte Anzahl an Kinosälen bekommen hätte, dann hätte es mich zwischen 20.000 und 30.000€ gekostet. In Indien ist Netflix gerade das große Ding. Wenn es deinen Film auf Netflix gibt, dann kann man sich sicher sein, dass ihn auch viele Menschen sehen werden. Ich habe gehört, dass es bald noch andere Plattformen geben soll. Momentan gibt es ja viele Anbieter die über SVOD (Subscription Video On Demand) streamen, bei denen man ein Abonnement abschließt und monatlich dafür bezahlt. Ich wünschte mir aber auch, dass bald Plattformen mit TVOD (Transactional Video On Demand), wo man nur für die einzelne Nutzung eines Filmes zahlt oder AVOD (Advertising Video On Demand) bei dem man nichts zahlt und stattdessen Werbung sieht, ihren Weg nach Indien schaffen. Somit wäre ein Film wie LOVE AND SHUKLA für die indische Community erreichbarer.

Kürzlich ist der Film auch auf Netflix erschienen, zwar leider nicht in Deutschland, aber in einigen europäischen Ländern und den USA kann man ihn sehen. 
Richtig, Netflix hat sich die Rechte an dem Film gekauft. In Ländern wie Südkorea oder Deutschland ist er leider nicht zu sehen. Ich kann sagen, dass Netflix versucht, den Film dorthin zu bringen. Momentan haben sie Schwierigkeiten, aber bald sollten sie eine Lösung gefunden haben.

Was können Sie uns über Ihre kommenden Projekte berichten?
Aktuell schreibe ich an meinem zweiten Drehbuch und ich bin sehr motiviert. Ich habe gerade eine Zusage für die Hilfsmittel zur Drehbuchentwicklung aus Südkorea bekommen, die ich bei meinem ersten Film nicht hatte. Das ist eine große Ermutigung. Auch da ich jetzt weiß, dass große Festivals wie das Internationale Filmfestival Busan meinen Film zeigen werden. Dies führt dazu, dass sich mehr Menschen den Film ansehen werden und darauf aufmerksam werden. Deshalb freue ich mich schon sehr darauf. Der Film wird wahrscheinlich nächstes Jahr starten.